Geschichten rund um die Alte Kirche
Christenlehre und Religionsunterricht um 1900
„Timmergerd“ erinnert sich:
Die schlimmste Stunde war die erste Stunde morgens beim Religionsunterricht. Jeden Tag wechselten Katechismus und biblische Geschichte. Jeden Tag musste ein Abschnitt aus einem der beiden Bücher auswendig gelernt werden. Wer beim Abhören versagte, musste entweder nachsitzen oder abschreiben. Lehrer Pieper(1897 nach Spelle gekommen) gab sich die größte Mühe, auch minderbegabten Kindern durch unermüdliches Wiederholen wenigstens die notwendigsten Kenntnisse beizubringen.
Volksmissionen
„Im Sommer 1903 hatten wir in Spelle eine große Volksmission. Es war die zweite Mission in Spelle, die erste war unter Pastor Batsche im Jahr 1861. Die Mission wurde von den Franziskanerpatres Edmundus und Liberius abgehalten. Besonders die Predigten von Pater Edmundus machten tiefen Eindruck. Er konnte nicht nur den Menschen ins Gewissen reden und seine Predigten über die letzten Dinge der Menschen so eindrucksvoll gestalten, dass die halbe Kirche weinte, sondern auch durch sanfte Worte die ganze Gemeinde in seinen Bann ziehen. Bei verschiedenen Predigten habe ich jedoch mit Angst und Schrecken unter der Kanzel gesessen und mich gleichsam geduckt unter dem Donner seiner Stimme.“ (Gerhard Rekers, gen. Timmergerd)
An eine weitere Mission im Jahr 1919 erinnert das Kreuz auf dem alten Kirchplatz bis heute. Es nahm auch als Erinnerung die Namen der Kriegsopfer der Kriege 1870/71 und des 1. Weltkrieges auf. Dieses Kreuz stand früher an der Querseite der Kirche auf der „Brink“-Seite.
Volksmissionen gab es in Abständen noch bis in die Anfänge der 70-er Jahre. Zu ihnen gehörten Themengottesdienste wie z.B. die Verehrung der Gottesmutter oder das Gedenken an die Verstorbenen. Die Fotos sind von der
40-stündiges Gebet
„Timmergerd“ schreibt: Seit dem Jahr 1898 feiern wir in Spelle das 40-stündige Gebet. Vor 1898 wurde auch in Spelle Fastnach gefeiert – dabei ging es wohl recht rau zu.
Als Pastor Schulte 1897 nach Spelle kam und das Fastnachttreiben sah, fasste er den Beschluss in Spelle diesem Feiern ein Ende zu bereiten. Das traf in den Fastabenden auf lebhafte Opposition.
Aber Pastor Schulte, ein scharfer Gegner aller weltlichen Feste, ließ sich dadurch nicht beirren und legte der Gemeinde einen finanziellen Anreiz vor: Falls die Gemeinde zustimmt, stifte ich eine Geldsumme von 2000 Goldmark, deren Zinsen jedes Jahr zur feierlichen Ausstattung der Kirche verwendet werden kann.
Und so wurde es dann umgesetzt und bis in die neue Kirche hinein – wenn auch in deutlich abgesteckter Form – durchgetragen.
So mancher erinnert sich noch heute an Betstunden, in denen der Kopf noch schwer war vom Festabend vorher. J
„Wie mött los, Pastor wochtet nich!“
Herbert Schweer erinnert sich an den Orgeldienst seines Vaters:
Eigentlich war es üblich, dass die Lehrer neben dem Religionsunterricht und der Seelsorge auch den Dienst des Organisten übernahmen, jedoch nahm das mit Beginn der NS-Zeit rapide ab, denn entweder wurden sie als Soldat eingezogen oder/und es war mit der Lehre des Nationalsozialismus nicht mehr vereinbar.
So suchte Pastor Thye Nachfolger und wurde bei Anton Schweer, einem 15-Jährigen, fündig. Als dieser an einem Sonntag im Jahr 1940 mit 15 Jahren stolz die Orgelbodentreppe erklomm, um die erste Andacht musikalisch zu gestalten, wurde er prompt von den honorigen Bauern auf dem Orgelboden vertrieben. Pastor Thye musste selbst für den Einsatz des jungen Organisten sorgen.
Von da an bestimmte der Rhythmus der Gottesdienste das Leben der Familie Schweer bis zum Jahr 1994. Hauptberuflich war Anton Schweer als Maurer tätig, jedoch hatte der Orgeldienst stets Vorrang: Hochzeiten und Beerdigungen ließen den Chef nicht immer begeistert sein, und durch die vielen Fehlzeiten fiel die Rente später auch recht dürftig aus.
Die ganze Familie „orgelte“ mit, Besuche von Verwandten am Sonntagnachmittag waren nur möglich, wenn die Andacht einmal ausfiel.
Anton Schweer besaß kein Auto und kam daher immer mit dem Fahrrad, später immerhin mit dem „NSU/Puch“ Moped.
Unterstützung kam erst mit dem Lehrer Volkmer, der nach dem Krieg als Vertriebener nach Spelle kam und Orgel spielen konnte, sowie mit Franz Breuckmann, als langjähriger Vorsitzender des Schützenvereins bekannt.
Immer im Stress – der Küster
Über drei Generationen lag die verantwortliche Tätigkeit des Küsters bei Brüggemanns, genannt Schusters. Schon die räumliche Nähe zur Kirche war von Vorteil, um immer zur Stelle zu sein, wenn es etwas zu tun gab: Auf- und Abschließen, dreimal täglich Läuten (um 6:00, 12:00 und 18:00 Uhr), dazu für alle Gottesdienste – natürlich von Hand.
Zum Versehgang begleiteten den Pastor stets Messdiener und der Küster; bei den Hohen Festen gab es immer besonders viel zu tun.
Über die Eigenarten der verschiedenen Priester schweigt sich der jüngste der Küster, Bernd Brüggemann, bis heute weitgehend aus. Aber von Kaplan Wehmeyer berichtet er denn doch, dass der Küster immer in die Knie musste, um die Albe über dem Talar gerade zu ziehen.
Alle weiteren Aufgaben sind wohl ähnlich wie auch die Küstertätigkeiten bis heute: die Vorbereitung der Gottesdienste mit dem Auslegen der Gewänder, die liturgischen Gefäße, die Bücher, die Betreuung der Messdiener, das Anzünden der Kerzen und so vieles mehr.
Erinnerungen ab der 1940-er Jahre
(von Bernard Diekmännken, Hubert Schröer, Josef Jungehüser, August Vehr, Hermann Möller und Bernd Brüggemann)
Wer sitzt wo?
In der Kirche saßen die Frauen links und die Männer rechts. Vorne waren einige Kinderbänke ohne Rückenlehnen; auch die Kinder trennten sich nach Mädchen links und Jungen rechts.
Direkt dahinter saßen die Ordensschwestern, zu unserer Zeit waren das: die Küchenschwester Amantia, die Krankenschwester Gebharda, die Gemeindeschwester Pulcheria und die Oberin Sr. Ansbaldis. Ebenfalls nahmen hier die Lehrerinnen Maria Äerdken und Maria Rosemann Platz. Sie passten auf, dass wir Kinder keinen Blödsinn machten. Wenn das der Fall war, mussten wir uns zur Strafe in den Gang stellen.
Das Hochamt am Sonntag war meist gut besucht, die Menschen standen teilweise bis zum Eingangsportal. Einige Männer nutzten auch die Zeit der Predigt, um im gegenüberliegenden Gasthof Frankmölle schon mal ein Bier zu trinken.
Im hinteren rechten Teil der Kirche waren die „bezahlten“ Sitzplätze, markiert durch ein Messingschild. Manche ältere Person musste aufstehen und Platz machen, wenn der honorige Platzbesitzer mit dem Glockenschlag kam und auf sein Sitzrecht pochte. Schließlich hatte man für diesen Platz bezahlt. Einmal im Jahr wurden die Plätze bei Frankmölle nach der Sonntagsmesse vermietet, i.d.R. für 50,-- DM pro Jahr. Heinrich Theil und Hermann Wolters wollten einmal als 18-jährige mitbieten und trieben den Preis in die Höhe. Bei einem Gebot von 100,-- DM war Schluss – sie mussten den Saal verlassen!
Was gibt’s Neues im Dorf?
In Abständen war sonntäglich auf dem Kirchplatz vor der Kirche die große Gemeindeversammlung. Alle Männer bildeten einen großen Kreis und der Bürgermeister (zu der Zeit Georg Uphaus) sowie sein Verwaltungsmann (später auch Gemeindedirektor) Wilhelm Theising verlasen Bekanntmachungen aus der politischen Gemeinde.
Der frühere Briefträger Hermann Höving nutzte die Gelegenheit und verteilte an Ort und Stelle die Post.
Es kam auch vor, dass Streitigkeiten geschlichtet werden mussten – als Schiedsmann fungierte Wilhelm Theising.
Direkt im Anschluss ging es dann zum Frühschoppen in die naheliegenden Gasthäuser Frankmölle, Segers und Kerk.
Für die Frauen war dann die Möglichkeit bei Segers oder Frankmölle einzukaufen. Grundsätzlich war man Selbstversorger, aber die Dinge, die man nicht selbst erntete oder durch die Hausschlachtung hatte, mussten dann doch eingekauft werden. Gerade für die Haushalte und Höfe, die nicht im Dorf lagen, war der Sonntag die beste Gelegenheit: man war mit der Kutsche oder später mit dem Auto im Dorf und auch noch mit „gutem Zeug“ angezogen.
Rang und Namen:
Zu unserer Zeit bis 1958 kannten wir nur Pastor Thye und den vertriebenen Pfarrer Nieborowski, genannt Flüchtlingspastor.
Die Lehrerinnen Maria Aerdken und hauptsächlich Maria Rosemann bestimmten das kirchliche Leben in Spelle als rechte Hand vom Pastor. Vor ihnen war wohl Lehrer Pieper eine der starken Persönlichkeiten in der Kirche und auch im öffentlichen Leben von Spelle. Messdiener wurde fast jeder Junge, denn nach dem Krieg gab es nur 900 Einwohner in Spelle und keine große Auswahl an Freizeitangeboten. Die älteren Messdiener lernten die jüngeren an.
Besonders schwer waren die lateinischen Gebete, die zu erlernen waren und auch abgefragt wurden: An das Stufengebet, Confiteor und Suscipiat erinnern sich bis heute die Messdiener von damals.
Die Aufgaben der Messdiener waren vielfältig: Läuten, Wind machen (Blasebalg für die Orgel treten, auch noch immer dann, wenn der Strom ausfiel). Wir gingen auch mit dem Pastor zum Versehgang, auch „Letzte Ölung“ genannt. Unterwegs wurde geschellt. Wenn Kinder uns entgegenkamen, knieten sie sich hin, die Erwachsenen Frauen und Männer stiegen vom Fahrrad, knieten ebenfalls nieder und bekreuzigten sich. Wenn der Weg weiter war, ließ sich der Pastor mit der Kutsche von Bauer Schröer fahren.
Bernd Diekmännken erinnert sich an eine „Letzte Ölung“, die er als Messdiener begleitet hatte: Mit der Kutsche von Bauer Schröer, die ein Pole fuhr (im Krieg waren Polen Kriegsgefangene und mussten hier arbeiten), waren wir unterwegs zum Vater von Trichinenbeschauer Hermann Krake. Dabei werden auch die Füße mit Öl gesalbt. Dafür nahm der Pastor vorsichtig die Bettdecke hoch. Da schrie Herr Krake auf: „Dübel noch moal, wat wett mi da koalt üm die Föte!“ Dafür brauchte Pastor Thye erst einmal die Übersetzung: „Benetzken, was hat der Herr Krake gesagt?“
Bernd Brüggemann berichtet: Wir Messdiener bekamen immer zur Rheiner Kirmes 50 Pfennig für unseren Dienst. Zu der Zeit kostete das Karussellfahren 5 Pfennig. Zur Speller Kirmes mussten wir nach der Christenlehre in die Sakristei kommen und bekamen dann von Pastor Thye einen Briefumschlag mit Kirmesgeld. Dies Geld stammte aus den Geldern, die zu Hochzeiten, Versehgängen und Beerdigungen gezahlt wurden.
Große Aufregung am Abend:
Eines Abends spät klopfte Bernd Roelfes, Brandmeister der Freiwilligen Feuerwehr, ans Fenster von Küster Brüggemann: „Wir müssen los, es gibt eine Meldung von Pastor Thyes Haushälterin Frl. Schnieders, dass Pastor nicht ins Pastorat zurückgekehrt ist.“ Mit mehreren Feuerwehrkameraden ging es auf die Suche. Auch Bauer Schröer kam mit seinem Trecker Hanomag R 27 zum Einsatz, der hinten einen Scheinwerfer hatte. Man vermutete, dass Pastor Thye sich zum Abendspaziergang in Richtung Schapen begeben hatte. Also leuchtete Schröer die Bahngleise ab Schapener Straße aus. Mit Josef Bültel jun. fanden sie Pastor schließlich hilflos gegenüber vom alten Sportplatz (heute Bauhof und Feuerwehr) in der Böschung liegend, von wo er aus eigener Kraft nicht wieder hoch kam. Die Feuerwehrkameraden sowie viele weitere Bürger, darunter auch Elisabeth Krone und der spätere Ehrenbürger Karl Rekers, waren an der Suche beteiligt und sorgten dafür, dass Pastors Ausflug ein glimpfliches Ende nahm und man ihn heil mit dem PKW ins Pfarrhaus zurückfahren konnte.
Beschuss des Turmes in den letzten Kriegstagen:
Bernd Diekmännken und August Vehr können sich noch gut an die Bombardierung des Kirchturms erinnern:
Wie in dem Buch von Helmut Boyer beschrieben, wurde die alte Kirche am 07.04.1945 abends um 19:00 Uhr von einer Sprengbombe getroffen. Schlimmer war der Beschuss des Kirchturms am Tag darauf, am Samstagnachmittag, dem 08.04.1945. Die Engländer feuerten mindestens 20 Granaten auf den Kirchturm. Die Umfassungsmauern waren bis zur Hälfte weggeschossen, ich sah, wie die dicken Mauerblöcke bis nach Wierling (heute Kurze) flogen, bei denen auch der Schornstein des Hauses auseinanderflog, berichtet Bernd D., der damals in direkter Nähe wohnte.
Es war ziemlich am Ende des 2. Weltkrieges, die Engländer waren schon in Rheine und kämpften sich gen Norden vor.
Ein Panzer beschoss den Speller Kirchturm. Der Hauptbalken des Turmes wurde getroffen, hielt aber stand.
Kurz danach wurde der Turm abgestützt und nach den Plänen von Gerhard Rekers (Timmergerd) und dem Bauunternehmer aus Venhaus Anton Kampel (Kopper Anton) ein Stahlbetonrahmen eingebaut. Der Stahlrahmen wurde bei der Firma Krone von dem Schmiedemeister Gerhard Berndzen geschweißt. Bernd Diekmännken, der zu der Zeit bei Krone als Lehrling war, musste die Schweißpickel abklopfen.
Zum Beschuss und zur Aufgabe des Dorfes weiß Johannes Stratmann zu erzählen:
Als die englischen Truppen immer weiter vorrückten, kletterte mein Opa, August Stratmann, ausgestattet mit einem weißen Bettlaken und einer Bohnenstange in den Kirchturm. An der Südseite des Turmes war ein kleines Dachfenster. Hier hängte er das Bettlaken mit Stange raus als Zeichen „Wir ergeben uns!“ Er wusste aber nicht, dass unten an der Kirche der Bürgermeister 'von Adolf's Gnaden' stand. Er schrie laut: „Stratmann, zieh die Fahne ein und komm runter oder ich schieß dich ab!“ Daraufhin verbrachte mein Opa die Nacht im Kirchturm.
Das Ergebnis war, es ist kaum eine Kampfhandlung in Spelle gewesen und es wurden keine Häuser zerstört.